Wenn Schulklassen zu Besuch in den Landtag kommen, dann erkläre ich ihnen die Aufgaben des Landtages und fange zumeist damit an:
Im Südtiroler Landtag sitzen 35 Abgeordnete, die direkt vom Volk gewählt werden. Der Landtag ist das höchste Vertretungs- und Entscheidungsorgan des Landes Südtirol für weit mehr als eine halbe Million Menschen. Jedes Mal, wenn ich diese Sätze sage, wird mir einmal mehr bewusst, welche Verantwortung uns die Wählerinnen und Wähler übertragen haben.
Leider sieht die Realität aber so aus: Wir, die – die Mitglieder des höchsten Vertretungs- und Entscheidungsorganes des Landes – haben den Entwurf des Landeshaushaltes erst spät zu Gesicht bekommen.
Zuerst wurden von der Landesregierung die Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften informiert, es gab Treffen mit verschiedenen Interessenvertretungen und auch die Presse erhielt die Informationen … wir, die wir über den Landeshaushalt abzustimmen haben, wurden als Letzte informiert. Das macht eine echte Auseinandersetzung, eine konstruktive Kritik und den Austausch sehr schwierig.
Aber zurück zum Landeshaushalt: Ich schicke voraus: Ein Zurück zum Vorher (vor der Pandemie) wird es aller Voraussicht nach schwerlich geben. Daher haben wir mit der Entscheidung zum Landeshaushalt eine besonders wichtige Aufgabe, denn damit stellen wir die Weichen, wie es in Südtirol in und – hoffentlich können wir das im Laufe des Jahres 2022 sagen – nach der Pandemie weitergehen wird.
Letztlich entscheiden wir auch heuer wieder über einen Rekordhaushalt: 6.533 Mio. werden verteilt.
Sinn und Zweck eines Haushaltes ist es, für das Land gut zu sorgen, und mit Land sind die Menschen gemeint, die in diesem Land leben. Die arbeitenden Menschen müssen also in Südtirol wieder jenen Stellenwert bekommen, der ihnen zusteht: Die Arbeiter*innen, die Verkäufer*innen, die Saisonangestellten im Tourismus, aber auch die kleinen Unternehmen, die Ein-Mann‑, Ein-Frau-Betriebe, die hart arbeitenden Angestellten in kleinen und größeren Betrieben – alle diese Menschen müssen von der Politik gehört werden. Sie alle verdienen sich die Teilhabe am Wohlstand des Landes und an der wirtschaftlichen und politischen Macht.
Sie, Herr LH, haben in Ihrer Haushaltsrede gesagt: „Viel Vertrauen ist verloren gegangen. Wir müssen Vertrauen stiften …“
Verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, ist eine ausgesprochen schwierige Aufgabe. Ich frage mich allerdings:
- Wie wollen Sie das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückgewinnen?
Glauben Sie, dass Sie das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen, wenn Sie, wie letzte Woche im Regionalrat geschehen, Gesetze wie die allseits bekannte Lex Grießmair durchboxen? Glauben Sie wirklich, dass es damit gelingen kann, Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen?
Wer Vertrauen wiedererlangen will, muss als allererstes Versprechen einhalten: Sie haben den öffentlich Bediensteten die 20 Mio. versprochen, Sie haben sie im letzten Jahr vertröstet, um heuer diese Mittel ganz einfach unter „Einsparungen“ zu verbuchen und zu streichen. Das ist aus meiner Sicht ein fataler Fehler und gleichzeitig Wortbruch, ja, Sie haben Wortbruch begangen.
Ebenso verhält es sich mit den Geldern für das Lehrpersonal der staatlichen Schulen, dem Sie die Angleichung der Gehälter an jene der Landesschulen „versprochen“ haben – wohl wissend, dass das vorgesehene Geld bei weitem nicht ausreicht, um dieses Versprechen zu halten.
Genauso wird auch das Sanitäts- und Pflegepersonal in den Krankenhäusern aber auch jene in den Senioren- und Pflegeheimen weiter vertröstet.
Vertröstet auf den Nachtragshaushalt: Aber wie soll sich das ausgehen?
Zum Nachtragshaushalt haben Sie sich auch bereits geäußert, ich zitiere aus Ihrer Rede zur Kürzung der Mittel im Bereich Soziales: „Es wurde bereits vereinbart, einen großen Teil der zu erwartenden Mittel aus dem Nachtragshaushalt in diesem Bereich zu binden.“
Einerseits ahnen wir bereits, dass der Nachtragshaushalt heuer nicht sehr üppig ausfallen wird – aber Sie haben schon wieder viele Versprechungen gemacht:
- Sie haben angekündigt, damit die Kürzungen im Sozialen auszugleichen.
- Sie haben Geld für die Anpassung der Gehälter des Pflegepersonals in den Senioren- und Pflegeheimen angekündigt.
- Sie haben angekündigt, dass auch der Bereichsvertrag Sanität gleich weiterverhandelt werden wird.
- LR Achammer hat auch noch angekündigt, dass dann auch noch Geld für die Angleichung der Gehälter des Lehrpersonals der staatlichen Schulen zur Verfügung gestellt wird.
Ist das tatsächlich Ihr Ernst? Oder ist es doch wieder nichts anderes als ein Vertrösten, ein Verschieben, ein reines Ankündigen? Glauben Sie tatsächlich, damit das VERTRAUEN der Menschen in die Politik wiederzugewinnen?
Wer Vertrauen wiedergewinnen will, muss Verantwortung übernehmen für eine Gesellschaft, die tief verletzt ist, die in den Grundfesten erschüttert ist. Die Menschen sehnen sich nach zwei sehr schwierigen Jahren vor allem nach Sicherheit. Angebracht wäre jetzt das nötige Feingefühl, um wahrzunehmen, was die Menschen jetzt wirklich brauchen.
Wer Vertrauen wiedergewinnen will, muss den schönen Worten Taten folgen lassen!
Es geht um die Menschen in unserem Land und darum, dass unser schönes Land ein Land mit Zukunft für unsere Kinder bleibt. Um das zu erreichen, werden wir alle Veränderungen hinnehmen müssen.
Wir stecken in einem Dilemma. Unser Konsum zerstört unsere Lebensgrundlage, damit aber unser Wirtschaftssystem funktioniert, muss unser Konsum steigen.
Nachhaltigkeit wird durch neue Technologien sicher unterstützt, aber ohne Einschnitte in unsere gewohnte Lebensweise wird es nicht gehen.
Die Probleme, die durch Klimakrise und Artensterben auf uns zukommen, haben einiges mit dem Virus gemeinsam: Sie machen nicht vor Ländergrenzen halt und man kann nicht mit ihnen verhandeln, sondern sie nur gemeinsam bewältigen. Da hat keiner das Patentrezept, da gilt es gemeinsam nach Lösungen zu suchen, ja geradezu, darum zu ringen.
Die Erreichung der Klimaziele erfordern KONKRETE TATEN, TEMPO und DURCHSETZUNGSKRAFT.
Beim Kampf gegen die Klimakatastrophe gilt es zugleich darauf zu achten, diesen sozial gerecht zu gestalten. Das sind wir uns und besonders unseren Kindern und Enkelkindern schuldig.
Wir werden Ihre Ankündigungen genau verfolgen und Sie dann an den Taten messen: Bei den Feierlichkeiten zu 30 Jahre Beirat für Chancengleichheit haben die Teilnehmenden ein Armband bekommen und darauf werden wir aufgefordert, „die Stimme zu erheben“ — „alzare la voce“
Und ja – ich werde die Stimme erheben für die Anliegen jener Menschen in diesem Land, die so wenig gehört werden: die Arbeiter*innen und Angestellten, die Familien, die Frauen, der Alleinerziehenden und die Rentner*nnen, aber leider auch die Kinder und die Jugendlichen.
Ich werde sie erheben für die sozialer Gerechtigkeit, die Chancengerechtigkeit und den Respekt vor der Würde aller Menschen.
Die Stimme erheben – ja, die Frauen in diesem Land werden vermehrt ihre Stimme erheben – und ich werde eine von denen sein, die das tut.
Der Sole24ore hat vor einigen Tagen Daten zur Lebensqualität herausgegeben. Südtirol ist insgesamt abgerutscht, was aber die Lebensqualität für Frauen angeht, rangiert Südtirol weit hinten auf dem beschämenden 43. Platz. Als Bewertungsgrundlage herangezogen wurden Faktoren, die auf dem Gender Equality Index der Europäischen Union basieren, also Lebenserwartung, der weibliche Beschäftigungsgrad, der Lohnvergleich mit der männlichen Arbeitswelt, die Anzahl an weiblich geführten Unternehmen und die Zahl an Managerinnen in Spitzenpositionen in Wirtschaft und Verwaltung, die sexuellen Gewaltverbrechen sowie die Anzahl von Spitzensportlerinnen.
Die Beschäftigungsquote ist sehr hoch, beim weiblichen Unternehmertum ist Südtirol jedoch das Schlusslicht.
Auch beim Gender Pay Gap liegen wir im hinteren Bereich, genauso wie mit dem Anteil an Gemeindepolitikerinnen. Das Fazit: Südtirol hat hier einiges aufzuholen.
Und da wird es sich im nächsten Jahr zeigen, ob den Worten Taten folgen, der Gesetzentwurf des Team K zum „Gleichstellungs- und Frauenförderungsgesetz des Landes Südtirol“ liegt in der Gesetzgebungskommission. Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, Maßnahmen zur Verminderung des Gender Pay Gaps in Südtirol zu setzen.
Wir werden sehen, ob Sie diesen Gesetzentwurf unterstützen oder aus Parteilogik niederstimmen.
Wir werden „die Stimme erheben“ und wir werden Sie an Ihren Taten messen.
Corona hat uns gezeigt, dass vieles möglich ist, was wir nie für möglich gehalten hätten, es geht um eine neue Entwicklung, um gerechte Aufteilen und auch Umverteilen, es geht schlicht um folgende Fragen:
- Wer braucht mehr Unterstützung und wer muss sich vielleicht auch mal etwas zurücknehmen?
- Wollen wir alle Mögliche dafür tun, dass Frauen für gleiche Arbeit gleich viel verdienen?
- Arbeiten wir daran, dass Erziehungs- und Pflegearbeit gleichmäßig auf die Schultern von Frauen und Männer verteilt werden?
- Tun wir alles dafür, dass die Kinder und Jugendlichen, die in der Zeit von Corona so stark gelitten haben und leiden, wieder zuversichtlich und vertrauensvoll in die Zukunft blicken können?
- Garantieren wir, dass wir allen Kindern eine gute, ja eine exzellente Ausbildung ermöglichen, wissend, dass Bildung die einzige Chance auf ein gutes Leben ist?
Und noch etwas liegt mit besonders am Herzen: Es ist die große Personalnot in der Pflege. Einerseits braucht es die Lohnerhöhungen, aber wie wir alle wissen, ist es damit nicht getan, denn es fehlt ganz einfach an Personal. Die entsprechende Ausbildung ist hier ein großes Thema.
Bereits vor der Pandemie hatten wir eine dezentrale Ausbildung für die Krankenpflege im Osten und Westen des Landes gefordert und Außenstellen der Claudiana z. B. in Bruneck vorgeschlagen – der entsprechende Beschlussantrag wurde damals abgelehnt. Vorgeschlagen haben wir auch die Zusammenarbeit mit der Fachhochschule für Gesundheitsberufe in Innsbruck FHG – alles abgelehnt. Jetzt scheint der Landesrat zur Einsicht gekommen zu sein und ich hoffe, dass die jüngst angekündigte Außenstelle der Claudiana in Bruneck schnell eingerichtet wird. Hätten Sie unseren Vorschlag im Jahr 2019 bereits angenommen und umgesetzt, dann stünden die ersten Krankenpfleger*innen bereits vor dem Abschluss.
Unser Vorschlag für die wohnortnahe Ausbildung in den Sozialberufen wurde kürzlich einstimmig hier im Landtag angenommen und ich hoffe auf schnelle Umsetzung
Auch da werde ich genau hinschauen.
Bevor ich zum Ende komme, noch ein weiterer Gedanke:
Wenn wir auf das Jahr 2021 zurückblicken, dann sind die Lebenshaltungskosten weiter gestiegen.
Energie- und Strompreise sind in die Höhe geschnellt.
Wer Geld hat, investiert in Immobilien. Die Folge ist: die Immobilienpreise steigen in astronomische Höhen. Immobilien sind für die Reichen zu Spekulationsobjekten geworden, für junge Menschen, für Arbeiter*nnen und Angestellte sind sie mittlerweile fast unerschwinglich. Wohnen wird mehr und mehr zum großen Problem – und da werde ich sehr genau hinschauen, Frau Landesrätin, ob Sie Ihre Ankündigungen zum „leistbaren Wohnen“ auch in die Tat umsetzen werden.
In diesem Zusammenhang ist nochmals über die LÖHNE in Südtirol zu reden – im öffentlichen wie im privaten Bereich. Ich stelle fest: Die Löhne in Südtirol reichen für viele nicht zum Leben – wenn immer mehr Menschen mit ihrem Lohn nicht bis ans Monatsende kommen, dann stimmt etwas nicht.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch die Arbeitgeber*innen im privaten Bereich daran, dass auch sie sehr wohl Verantwortung tragen: Wenn die Gehälter nicht für ein würdiges Leben reichen, dann erwartet man sich, dass die öffentliche Hand einspringt. Man darf sich aber dann bitte nicht wundern oder sogar darüber beklagen, dass wenn die Ausgaben für das SOZIALE steigen.
Ich möchte abschließend Olaf Scholz zitieren, der bei seinem Regierungsantritt zu den Mitgliedern seines Kabinetts Folgendes gesagt hat: „Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass das, was öffentlich gesagt wird, dann auch umgesetzt wird.“
Genau das sind die Weichen, von denen ich am Beginn meiner Rede gesprochen habe und die ich mir von diesem Landeshaushalt erwarte oder erwartet hätte:
- Vom schönen Reden ins praktische Tun kommen
- Von der Ankündigungspolitik in die Umsetzungspolitik